„Ich habe wirklich die ganze Bandbreite des Ecole-Erlebnisses ausgekostet.“ – Ein Gespräch mit Addrich Mauch (Schüler 1996-2002)

Wie hast du deine Zeit an der Ecole erlebt?

Haha, keine simple Frage – intensiv sicherlich. Ich kam an die Ecole als ich 14 Jahre alt war, da ist die ganze Welt hoch dramatisch und wunderschön gleichzeitig. Ich weiss nicht, wieviel dieser Teenager-Achterbahnfahrt der Ecole zu verdanken oder verschulden ist, aber auf jeden Fall hat sie eine wahrlich schöne Kulisse dazu beigetragen. Lange war ich eher ein Aussenseiter-Typ und habe mich auch da so gesehen, aber im Nachhinein muss ich sagen, war meine Zeit an der Ecole vor allem durch Freundschaften geprägt.

Ich erlebte sie insbesondere auch als ermutigend. Ermutigend über seinen eigenen Schatten zu springen und zu sich zu stehen, wer auch immer das ist. Und sich zu finden, was gar nicht so einfach ist. Motivierend alles mögliche auszuprobieren, von Volkstanz zu Inline-Skaten (war dazumals noch cool), von Töpfern, Malen, Musik machen, bis zu Computerspiele zu programmieren (oder so zu tun als ob). Egal ob etwas als cool wirkt oder nicht. Und auch alles zu hinterfragen und kritisch zu denken, sogar wenn es um die Grundprinzipien des Zusammenlebens geht. Ich denke, ich habe wirklich die ganze Bandbreite des Ecole-"Erlebnis" ausgekostet, dazu war ich insgesamt auch in 4 oder 5 Familien zu Hause, unzähligen Freitagsgruppen, Schulgemeinde- und Polygonleitung, aber auch heimliche Nachtausflüge etc.

Und ich erinnere mich an endlose Sonntagnachmittage auf der Elefantentreppe, irgendwelche deepe Gespräche zu führen und die Welt zu verstehen (haha), nachdem wir bereits unsere ganze Zeit mit dem Familienradio aufgebraucht haben. Und der Gong (den wir auch mindesten 2 mal geklaut und versteckt haben).

Welchen Weg bist du nach der Ecole gegangen?

Die Frage wäre vielleicht besser "Welche Wege?" Nun wurde in der Ecole ja bei jeder Gelegenheit der Satz "Werde der du bist" verinnerlicht und auch ermöglicht alles auszuprobieren. Das habe ich ziemlich wörtlich genommen und nie versucht, einfach mal zu SEIN wer ich bin. Da Architektur in den 90ern und 00er Jahren als intellektuell umfangreichste Verwirklichung romantisiert wurde, zumindest in meinen Kreisen, schrieb ich mich als erstes dafür an der ETH ein. Aber dann kam es anders.

Ich habe ein Jahr Philosophie studiert, weil das ist ja das Leben und das ultimative "werde der du bist". Das wurde mir dann aber bald zu Elfenbeinturm-artig, und ich steigerte mich in den Leitsatz hinein, indem ich mich dem Handwerk widmete und begann eine Ausbildung als Bootbauer. Bevor ich aber den Abschluss nach 4 Jahren gemacht habe, habe ich mich dann doch wieder zum Akademiker bekannt und fing an, an der Universität Bern Musikwissenschaft zu studieren.

In der ganzen Suche, wer ich werden will, habe ich auch immer die Musik verfolgt – insgesamt war ich in 6 mehr oder weniger erfolgreichen Bands tätig, also war das eine logische Schlussfolgerung, mich dem Thema auch wissenschaftlich in einer kritischen Auseinandersetzung zu widmen.

Heute habe ich einen Doktortitel in Musikwissenschaft (mit einer Dissertation über Videogame Sounds und Musik) und arbeite in einem Forschungsprojekt, das die Game-Kultur der Schweiz zwischen 1970 und 2000 untersucht. Meine Vorliebe galt immer Themen, die gesellschaftlich ambivalent sind. Mit meiner Band "Annika Strand" haben wir gerade das zweite Album "House by the Sea" aufgenommen und hoffen, es noch dieses Jahr veröffentlichen zu können, im Kasten ist es bereits.

Von Bern bin ich nicht mehr weggekommen (nachdem ich nach der Ecole im Aargau, Fribourg, Nidwalden und Luzern gewohnt habe). Ich lebe mit meiner Familie direkt an der Aare und geniesse es, an heissen Tagen bei jeder Gelegenheit ins Wasser zu springen.

Wie hat sich deine berufliche Laufbahn im Laufe der Zeit entwickelt?

Für eine lange Zeit war ich im Werden gefangen und habe viel ausprobiert. Aber ich blieb mir immer treu und habe mich für Wege entschieden, für die ich eine intrinsische Motivation hatte. Und schlussendlich hat sich das auch ausgezahlt, auch wenn ich in meiner Laufbahn eher ein Spätzünder bin. Ich glaube, die Ecole hat mich dazu ermutigt, mir die Zeit und Musse zu nehmen, wirklich herauszufinden, wer ich bin und mich nicht vorher mit einem Kompromiss zufrieden zu geben, auch wenn der Weg lang ist.

Was macht die Ecole für dich besonders?

An erster Stelle die Menschen. Die Gemeinschaft mit all ihren verschiedenen Beziehungsebenen und Mitbestimmungsmöglichkeiten sowie die Breite an Erfahrungen, in denen man sich versuchen kann. Und natürlich das Schulsystem und alle einzigartigen Lehrer:innen, die ich auf Augenhöhe mit ihren Stärken, aber auch Eigenheiten und Knorkse kennenlernen durfte. Schüler:innen werden in allen Belangen als volle Menschen ernst genommen und Basisdemokratische Schule nicht nur ein Begriff, der sich gut verkaufen lässt, sondern der gelebt wird (oder wurde).

Aber auch Traditionen und Rituale wie Volkstanzabend, Wanderungen, Familienabend, Andacht, Morgensport, ja sogar die Putzpause und Schweigeminute im Esssaal und der Gong im allgemeinen. Wahrscheinlich würden viele auch die Singgemeinde unbedingt nennen, aber da wurde ich ehrlich gesagt nie wirklich warm damit – seltsam.

Welchen Ratschlag würdest du unseren aktuellen Schüler*innen mitgeben?

Probiert alles aus was ihr wollt und auch das, was ihr vielleicht nicht im ersten Moment erkennt, dass es Spass machen könnte oder dass es euch was bringen würde.

"Werde der/die du bist" ist ein kontinuierlicher Prozess, der nicht nur für Schüler:innen und Mitarbeitende gilt, aber auch für die Schule, die sich mit euch entwickelt. Gebt euch der Schule hin, versucht auch Prinzipien der Ecole zu verstehen und zu erleben, die euch zu Beginn zu widerstreben scheinen – und hinterfragt gleichzeitig alles. Die sich wandelnde Gemeinschaft aus Schüler:innen, Mitarbeiter:innen und Helfer:innen ist das, was meiner Meinung die Ecole ausmacht, nicht irgendwelche Prinzipien aus einer Vergangenheit, die nicht mehr gelebt werden.

Das schönste am Leitsatz "Werde der/die du bist" ist für mich jeder Moment in diesem nicht endenden Prozess – geniesst das Jetzt. Das Sitzen in der Sonne auf der Elefantentreppe, am See oder wo und wann auch immer. So ein Alpenpanorama und solche Bergluft werden die meisten wohl wie ich im Alltag vermissen und sich an diese kleinen Momente und Sinneseindrücke erinnern (ja, auch das Schneeschaufeln vor dem Frühstück ;) ).

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